Gehetzte Narren

Nachdem ZEIT-Online vor einem guten Monat ihren Artikel „Bin ich schon zu alt?“ veröffentlicht hatte, keimte in mir als Student eine gewisse Hoffnung auf. Die Thesen von Justus Bender : „Studenten hetzen durch ihr Studium. Dabei ist den meisten Unternehmen ziemlich egal, wie lange sie brauchen. Warum sich alle mal entspannen können.“

Nicht gelesen hat diesen Artikel offenbar die Unispiegel-Redaktion von Spiegel Online, die heute mit vier Studierenden-Berichten unter dem Thema „Mit Vollgas an die Uni: Die Turbo-Studenten“ aufwarten können. Der Teaser klingt reißerisch, entpuppt sich aber nach der Lektüre des Artikels als viel heiße Luft: „In den Hörsaal, wenn andere Ferien machen, und zwei Semester studieren in einem Sommer – wer macht denn so was?“

Der Grotßteil der Berichte dreht sich um Schüler, die sich nach ihrem Abi direkt zum Sommersemester einschreiben. Das mag aufgrund der steigenden Nachfrage an Studienplätzen nun berichtenswert erscheinen, dass Studenten ihr Studium zum Sommersemester aufnehmen ist aber gar nichts Neues; es sollte meiner Meinung nach sogar eine Selbstverständlichkeit sein.

Die „Zwei Semester in einem Sommer„, die im Vorspann des Artikels beschrieben werden, beziehen sich auch das Two-in-one-Programm der TU-München. Dieses bietet den Studierenden „die Möglichkeit, zwei Studiensemester in der Zeit von einem zu absolvieren – großes Engagement […] vorausgesetzt.“ Da verwundert die Einschätzung des Studenten wenig: „Ich glaube, mein Studium wird stressiger als das anderer Erstsemester. Ich muss am Ball bleiben, bei jeder Vorlesung, bei jeder Übung.“ Dass während dieses Programms keine Studiengebühren erhoben werden, wird aber nicht erwähnt.

Viel erschreckender ist aber das Studenten-Bild, welches in dem Artikel vermittelt wird. Hans-Christian Riess berichtet: „Im Sommersemester muss ich 36 Credits machen, üblich sind 30. […] Anfang Oktober werde ich darüber Prüfungen schreiben und muss noch mal zwölf Credits sammeln. Wenn ich ins dritte Semester hochgestuft werde, wird es erst recht stressig.“

Man kann ihm noch nicht einmal einen Vorwurf machen für diese – meiner Meinung nach sehr gefährliche – Sichtweise auf sein Studium, denn es ist nun einmal die, die den Studierenden seit dem Bologna-Prozess eingetrichtert wurde. Ich selbst habe drei Semester gebraucht um zu verstehen, dass es im Studium nicht um Credtipoints geht (gehen sollte), sondern um einen umfassenden Bildungs- und Reifungsprozess.

Prof. Dr. Alexander Kosenina, Dozent am Deutschen Seminar der Leibniz Universität Hannover, bringt dies in seinem Aufsatz Gelehrte Narren wunderbar auf den Punkt:
„Wissen kann man indes – wie nicht nur dieses Beispiel zeigt – auf sehr vielfältige Weise erlangen und vermitteln. Selbst von Bologna führt nicht nur ein einziger Weg nach Rom. Und es spricht auch nichts dafür, dass junge Menschen nur durch einen magersüchtig abgespeckten Studienplan, der neben dem kanonischen Kleinen Einmaleins keinerlei Narreteien zulässt, am bes- ten auf ein Leben als selbst denkende und frei handelnde Indivi- duen vorbereitet werden. […] Den Studientechnokraten von heute hätte Lessing eine fundamentale Lektion erteilt, die die folgenschwere Umwandlung der alten Universität in eine stupide Lernfabrik verhindert hätte, in der das bloße Abfragen von Wissen eine Er- ziehung zum Denken zunehmend verdrängt und irgendwann auch die Forschung selbst lähmen wird: «Denn nicht durch den Besitz» – so urteilt Lessing über den Menschen –, «sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit besteht.»“

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4 responses to “Gehetzte Narren

  • Anni

    Wenn da nur nicht die Realität wäre….

    Generell würde ich all den Gedanken dieses Blogeintrags sowie auch dem Zitat von Herrn Kosenina zustimmen wollen und dennoch muss ich widersprechen oder zumindest für eine andere Sichtweise auf das Ganze plädieren. Denn sicherlich ist es sinnvoll, das Studium als eine Wissens- und geistige Entfaltungsmöglichkeit zu sehen und dementsprechend auch mehrere Seminare zu besuchen und Texte zu lesen, als nur jene, die uns vorgegeben werden. ABER: Wer finanziert uns das Ganze? Schaut man einmal auf die Überweisungsscheine für die Studiengebühren des kommenden Semesters denkt man doch, dass es sich um einen üblen Scherz handelt (nicht zu vergessen, dass neben dieser Summe durch Lernmaterialien weitere Kosten auf uns zukommen).
    Weiterhin stellt sich die Frage, inwiefern uns das Studium tatsächlich auf unseren Berufsweg vorbereitet (hier insbesondere auf das Lehramtsstudium bezogen). Natürlich ist die freie Geistesentfaltung für unsere Fächerkombination fundamental, aber werden uns nicht auch im Studium Meinungen aufgetischt, die genau diese verhindern? Ist das freie Denken in einem System wie dem heutigen überhaupt noch gewährleistet?
    Und so komme ich wie jedes Mal – wenn ich über dieses Thema nachdenke – zu dem Schluss: Es gibt zwar viele nette Ideen, das Studium besser, produktiver und individueller zu gestalten, wenn man das kapitalistisch geprägte, engstirnige Gesellschaftssystem unserer Zeit außer Acht lassen könnte, in dem es nun mal schwierig ist, sich individuell zu entwickeln ohne abhängig von Dritten zu sein.

  • pgpublizieren

    anstrengend ist es doch auch, wenn seminare besucht werden, um sich einen schein abzusitzen. ganz ehrlich hilft das keinem, freunde.

    studiengebühren mag keiner, aber die sollten hier nicht als ausrede gelten dürfen.

    ich glaube immer noch, dass das punktegehetze nichts bringt. dazu studiere ich nicht. was hat das dann mit bildung zu tun? bulimie-lernen bleibt uns ja erspart. bringt eventuell auch nicht so viel, was?

    für mehr berufsbezogene seminare würde ich mich auch aussprechen. schlüsselkompetenzen, die nicht fürs lehramt bilden sind ja auch mangelware. (medienkompetenz kann man nie genug üben. formatierung scheint auch manchmal ein problem.)

    übrigens, sehr unangenehm für mich ist die fotostrecke zu dem SPON-Artikel. steht aber nicht im widerspruch zu meinen ansichten, glaube ich.

  • Anni

    ich finde schon, dass auch die Finanzen als Argument gelten können. Überall wird über „Preis-Leistung“ gesprochen und was wird uns für unser Geld geboten? Ich finde schon, dass diese Tatsache zur Abwägung zwischen „schnell durchs Studium“ oder „studieren, um sich zu entwickeln“ führt, kann aber auch meine individuelle Sichtweise sein und vlt. stehe ich mit dieser Meinung ja alleine dar.
    wenn man Seminare besucht, nur um den Schein zu bekommen, sollte man sich generell überlegen, ob das Studium überhaupt die richtige Wahl war und die Arbeitsmoral so in Ordnung ist. Denn auch wenn ich mich mal für ein Seminar entscheide, an dem mich die Thematik nicht wirklich interessiert, habe ich gewissen Verpflichtungen, die mit diesem Seminar in Verbindung stehen, nachzugehen. Und dass man mal keine Lust hat, kennen wir auch aus Seminaren, die uns generell Freude bereiten. Die ausgewogene Mitte wäre doch auch hier zu wünschenswert.
    Soll nicht heißen, dass das Gehetze zu befürworten ist, tue ich auch nicht, soll aber Aufschluss darüber geben, weshalb man (und ich schließe mich da nicht aus) zu einem solchen Stil des Studierens gedrängt wird.

  • studiumdigital

    Ich denke durchaus, dass die Studiengebühren in dieser Debatte eine Rolle spielen. Umso verwunderlicher, dass Spiegel-Online sie bei einem Thema wie „Die Turbo-Studenten“ nicht mit einem Wort erwähnt.
    Auch das Thema Preis-Leistung spielt eine große Rolle. Natürlich sind die Studiengebühren eine „Investition in die Zukunft“, wie sie ja auch in der Politik gerne genannt werden. Die Preis/Leistung stimmt meiner Ansicht nach schon, schließlich sind die Berufsaussichten und das durchschnittliche Einstiegsgehalt nach dem Studium besser als ohne. Das sollte aber auch die Debattierenden nicht dafür blind machen, dass sich einige diese Investition erst gar nicht leisten können.
    Schafft es aber jemand, das Studium zu finanzieren, so sollte er schon aus dem Bewusstsein heraus, dass das Studium ein Privileg ist, nicht nur nach Punkten studieren. Auch in zehn Semestern Regelstudienzeit kann ich immer so oder so studieren. Herr Kosenina sagt ja nicht (oder zumindest nicht in dem zitierten Artikel): Studiert länger (und somit teurer) sondern: studiert anders. Und dieses Anders heißt eben, dass man nicht einen Kurs wählt, weil man dort mit möglichst geringem Aufwand möglichst viele Punkte bekommt. Aber das sage ich hier sowieso den Falschen.

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